Die digitale Fabrik – Fakt oder Fiktion?
Die digitale Fabrik – ein Zukunftsbild, welches nicht erst seit heute auf der To-Do-Liste der Führungskräfte deutscher Industrieunternehmen steht. Dennoch ist sich Dr. Jan-Marc Lischka sicher: „Deutsche Fabriken sind noch nicht digital genug.“ Großen Handlungsbedarf sieht er beispielsweise auf der sog. „letzten Meile“. Direkt auf dem Shopfloor gibt es noch große digitale Lücken, die es für Fabriken zu schließen gilt:
- Zettelwirtschaft
- Informationen nicht abrufbar
- Intransparente, unregelmäßige Kommunikation
Es gibt also eine Menge zu tun, denn vor allem in Zeiten des Fachkräftemangels ist eine effiziente, strukturierte Arbeitsumgebung auf dem Shopfloor unabdingbar. Gleichzeitig ist die hohe Innovationskraft seit jeher ein starkes Argument für den Produktionsstandort Deutschland. Diese Innovationskraft sieht Jan gefährdet, wenn wir beim Thema Digitalisierung keine Erhöhung der Geschwindigkeit realisieren können.
Experte für Digitalisierung: Dr. Jan-Marc Lischka
Wenn es um die Digitalisierung von Fabriken geht, weiß Dr. Jan-Marc Lischka, wovon er spricht. Der promovierte Ingenieur war einige Jahre in leitender Funktion für verschiedene Produktionsthemen bei Siemens tätig. Die Erfahrung aus über 100 Fabriken, die er mittlerweile von innen gesehen hat, nutzt er heute als Co-CEO des Digitalisierungs-StartUps 5thIndustry. Gemeinsam mit seinem Team will Jan den Traum der digitalen Fabrik endlich in der Breite der Industrie verwirklichen. Dazu hat er konkrete Ideen.
Wir haben Jan im Rahmen des LMZ Industry Talk persönlich getroffen, und zur Digitalisierung der Fabrik befragt. Dieser Blogbeitrag basiert auf den Ergebnissen des Gesprächs zwischen ihm und LMZ-Geschäftsführer Dennis Lenkering. Das gesamte Gespräch können Sie sich HIER ansehen.
Probleme der Zettelwirtschaft
Die Beseitigung der Zettel aus der Fabrik ist kein Selbstzweck. Jedoch mindert Zettelwirtschaft die Effizienz eines Produktionssystems, denn sie führt zu folgenden Problemen:
- Fehlende Transparenz
- Fehlende Möglichkeit, mit Daten zu arbeiten
- Fehlende Möglichkeit, sich in Echtzeit über den Produktionsstand zu informieren
- Zeitverschwendung durch „händische Digitalisierung“ von Daten
Digitalisierung wirkt diesen Problemen entgegen. Doch wie geht man das Thema an? Welche Strukturen braucht es, damit der Wandel zur digitalen Fabrik wirklich gelingt? Aus dem Gespräch zwischen Dennis und Jan haben sich zwei Themen herauskristallisiert: Modularität und Menschenzentrierung. Schauen wir uns beide Themen näher an.
Die IT-Landschaft der Zukunft ist modular.
Wandlungsfähigkeit ist ein zentraler Baustein in der Fabrik der Zukunft, um agil auf sich verändernde Rahmenbedingungen reagieren zu können. Um Wandlungsfähigkeit in einer Fabrik zu realisieren, braucht es u.a. modulare Konzepte (lesen Sie weiterführend gerne unseren Blogbeitrag: „Modulare Fabrik – Wie stärke ich die Wandlungsfähigkeit meiner Fertigung?“). Diesen Gedanken überträgt Dr. Jan-Marc Lischka auf die IT.
„Die Adaptierbarkeit von modularen Produktionskonzepten muss die IT-Landschaft mindestens genauso gut leisten – eigentlich sogar noch mehr.“
Dr. Jan-Marc Lischka
Im privaten Kontext ist es für uns Menschen völlig normal, IT modular zu konsumieren. „Wenn wir mit Netflix nicht mehr zufrieden sind, wechseln wir halt zu Disney+.“, führt Jan als Beispiel an. Die Industrie ist auf diesem Niveau noch nicht angelangt. Häufig wird in groß angelegten, starren Projekten an ebenso starren IT-Systemen gearbeitet.
Um Digitalisierung jedoch nachhaltig umzusetzen, braucht es genau die Adaptierbarkeit, die auch fortgeschrittene Produktionssysteme bieten. Auf diese Art und Weise gelingt es, Flexibilität zu bewahren, auf Veränderungen zu reagieren, und Lernprozesse in die Entwicklung zu integrieren.
Umsetzung in der Praxis:
Anstelle eines groß angelegten Mammutprojektes empfiehlt sich bei der Digitalisierung der Fabrik eine Step-by-Step-Vorgehensweise. In agilen Sprints lassen sich z.B. genau die Arbeitsbereiche identifizieren, in denen in einem kurzen, konkreten Zeitraum (4-6 Wochen) reale Ergebnisse erzielt werden können. „Anstatt die eierlegende Wollmilchsau zu suchen, fangt mit einer kleinen App an, die z.B. das Thema Rundgänge oder Instandhaltung digitalisiert.“, Jan sieht in den vermeintlich kleinen Themen gute Ausgangspunkte, um Digitalisierung sukzessiv in die Fabrik zu bringen.
Diese Vorgehensweise sollte außerdem einhergehen mit einer ausgeprägten Fehlerkultur. Wertvolle, digitale Lösungen entstehen evolutionär durch Testen und Lernen. Dabei darf auch mal etwas schiefgehen. Agile IT-Projekte beinhalten den Mut zu Fehlern, sofern dadurch der Lern- und Entwicklungsprozess des Unternehmens vorangetrieben wird.
Im LMZ Industry Talk haben wir uns intensiv mit Dr. Jan-Marc Lischka unterhalten. Dabei treffen die Erfahrungen eines Automatisierers auf die Erfahrungen eines Digitalisierers, um ein vielversprechendes, und vor allem realistisch umsetzbares Zielbild einer digitalen Fabrik der Zukunft zu formen. Schauen Sie rein.
Die Menschen im Zentrum der Digitalisierung.
Ein weiterer Vorteil der agilen Herangehensweise: Die Menschen auf dem Shopfloor sehen sehr schnell die ersten Ergebnisse. Darauf kommt es laut Jan besonders an: „Fabriken sind Orte, an denen Menschen arbeiten, und diese Menschen sind das wichtigste Gut.“ An der Stelle sieht er einen Kritikpunkt an der verbreiteten Auffassung einer Industrie 4.0, denn zu oft schauen wir nur auf die technische Machbarkeit, ohne die Bedürfnisse der Menschen zu berücksichtigen.
„Die digitale Transformation scheitert in den seltensten Fällen an der Software.“
Dr. Jan-Marc Lischka
Die Herausforderung der digitalen Transformation liegt vielmehr darin, IT-Systeme in die Abläufe der Fabrik und der Menschen darin zu integrieren, um ein harmonisches Zusammenspiel sicherzustellen.
Umsetzung in der Praxis:
Die Digitalisierung der Fabrik startet mit einer gemeinsamen Vision. Gemeinsam mit allen Stakeholdern im Unternehmen (Führungsebene, IT, Fabrikmitarbeiter, etc.) gilt es ein Zielbild zu entwickeln, wie künftig in der Fabrik gearbeitet werden soll. Jan empfiehlt konkrete interne Workshops (1-2 Tage) zur Entwicklung dieses Zielbilds. Extrem wichtig ist es dabei, die Leute auf dem Shopfloor direkt abzuholen und aktiv an den Entwicklungen partizipieren zu lassen, um vom Menschen und nicht von der Technologie aus zu starten.
Aus der gemeinsamen Vision und den direkten Impulsen können anschließend die ersten sog. Quick Wins identifiziert werden, die in einem kurzen Umsetzungszeitraum echte Ergebnisse bringen. Kann man schnell erste Ergebnisse vorweisen, entsteht idealerweise eine Dynamik in der Fabrik, die weitere Ideen zur Optimierung der digitalen Prozesslandschaft hervorbringt, und die digitale Transformation schließlich zur Erfolgsgeschichte werden lässt.
Unser Fazit
An der Digitalisierung der eigenen Fabrik wird in Zukunft kein Industrieunternehmen vorbeikommen. Es muss jedoch nicht zur „Mission Impossible“ werden, wenn Sie von Beginn an auf eine agile Vorgehensweise setzen und dadurch eine modulare IT-Landschaft entwickeln. Starten Sie klein, aber starten Sie – so lautet unser Schlusswort zum Thema. Es muss nicht alles perfekt laufen, denn ein dynamischer Lernprozess in der eigenen Fabrik ist deutlich empfehlenswerter als digitaler Stillstand.
An der Stelle bedanken wir uns herzlich bei unserem Gast Dr. Jan-Marc Lischka für den Besuch und die Teilnahme am LMZ Industry Talk.
Weiterführende Links:
🔗 Das gesamte Gespräch mit Digitalisierungs-Experte Dr. Jan-Marc Lischka im YouTube-Video.
🔗 Wie sieht sie aus, die Fabrik der Zukunft? Antworten gibt es im LMZ Industry Talk.
🔗 Die modulare Fabrik – Wie Sie die Wandlungsfähigkeit Ihrer Fertigung stärken.